Die Macht des wirksamen Umgangs mit Fehlern

Romeo Ruh, 13. März 2024

In der heutigen disruptiven Geschäftswelt ist eine Kultur, die Fehler “begrüsst” und daraus lernt, entscheidend. Im Gegensatz zur Denkhaltung, dass man als Führungsperson oder Experte im Unternehmen alles wissen muss und Gespräche über Misserfolge eher umgeht, erfordert die Notwendigkeit für Echtzeitinformationen und Kundenfeedback heute eine Kultur, die Erkenntnisse aus Fehlern integriert. Versäumnisse in diesem Bereich könnten gefährlich sein, angesichts der raschen Veränderungen auf den Märkten. Das offene Teilen und Austauschen von Erkenntnissen aus Fehlern ist entscheidend für die kontinuierliche Verbesserung und Anpassungsfähigkeit.

Betrachten wir zum Beispiel das Konzept der “beidhändigen” Führung, wie es bei Porsche Motorsport praktiziert wird.* Dieser Ansatz erkennt an, dass unterschiedliche Grade der Fehlerakzeptanz in verschiedenen Führungsbereichen wie folgt erforderlich sind:

Inspirierende-ergebnisorientierte Führung (auf der Rennstrecke):

In der riskanten Welt des Rennsports steht Präzision an erster Stelle. Durch Fokussierung auf Fehlervermeidung und diszipliniertes Einhalten von Regeln betont die Führungsarbeit die Notwendigkeit von Effizienz, Qualität und Sicherheit. Klare Führungsrollen und direktes Feedback sind in dieser ergebnisorientierten Umgebung unerlässlich.

Inspirierende-explorative Führung (Fahrzeugentwicklung):

Innovative Projekte wie die Fahrzeugentwicklung erfordern einen anderen Ansatz. Teams zu befähigen, Autonomie zu fördern und eine Kultur des Experimentierens zu pflegen, sind entscheidend. Hier liegt der Fokus auf Offenheit, Kreativität und der Bereitschaft, neue Lösungen zu erkunden, wobei eine deutlich höhere Toleranz für Fehler als Teil des Lernprozesses akzeptiert wird.

Je nach Kontext sind unterschiedliche Führungsansätze und Anforderungen wichtig. Während in ergebnisorientierten Umgebungen wie auf der Rennstrecke die Betonung auf Präzision, Effizienz und Sicherheit liegt, erfordern innovative Projekte wie die Fahrzeugentwicklung eine explorative Führung, die von Offenheit, Kreativität und der Akzeptanz von Fehlern geprägt ist.

Diese unterschiedlichen Führungsansätze verdeutlichen, dass es keine Einheitslösung für alle Situationen gibt. Stattdessen ist es entscheidend, eine Fehlerkultur zu entwickeln, die flexibel genug ist, um verschiedene Kontexte zu berücksichtigen. Im kommenden Abschnitt werden wir tiefer in die Vorteile und Merkmale einer solchen Fehlerkultur eintauchen und verstehen, wie sie Unternehmen in der heutigen dynamischen Geschäftswelt stärkt.

Vorteile einer wirksamen Fehlerkultur

In einer komplexen unvorhersehbaren Geschäftswelt bietet eine gesunde Fehlerkultur erhebliche Vorteile:

Fördert Innovation: Durch die Schaffung einer Umgebung, in der Mitarbeiter sich befähigt fühlen, neue Ideen und Konzepte zu erkunden, auch wenn der Erfolg nicht garantiert ist.

Beschleunigt die Anpassung: Das Lernen aus Fehlern ermöglicht es Organisationen, schnell zu innovieren und sich effektiver an veränderte Bedingungen anzupassen.

Fördert Psychologische Sicherheit: Eine Kultur, die offene Kommunikation und das Lernen aus Fehlern schätzt, fördert eine Atmosphäre, in der Mitarbeiter sich sicher fühlen, ihre Ideen und Bedenken ohne Angst vor negativen Konsequenzen auszudrücken.

Fördert kontinuierliche Verbesserung: Schnelles Lernen aus Fehlern ermöglicht kontinuierliche Verbesserungen in der Zusammenarbeit, den Prozessen, Produkten und Arbeitsweisen.

Einblicke in die Ebenen der Fehlerkultur

Diese Ebenen erstrecken sich von der übergeordneten Organisationsstruktur über individuelle Persönlichkeiten bis hin zu den dynamischen Teaminteraktionen. Wie diese Ebenen miteinander verwoben sind, bildet das Fundament für eine erfolgreiche Fehlerkultur.

Organisationsebene: Auf dieser Ebene wird die Fehlerkultur unter anderem durch den Unternehmenszweck, die Artefakte, Werte, Haltungen, Verhaltensweisen und die visionäre Ausrichtung beeinflusst. Das organisatorische Lernen spielt eine zentrale Rolle bei der Schaffung eines Umfelds, in dem Fehler als Teil des Wachstumsprozesses betrachtet werden.

Individuelle Ebene: Die persönlichen Aspekte, darunter Persönlichkeit, Mindset, Biografie, Erziehung, Erfahrungen und Fähigkeiten, prägen die Fehlerkultur auf individueller Ebene. Hierbei spielt die persönliche Haltung gegenüber Fehlern eine entscheidende Rolle.

Teamebene: Die Dynamik auf Teamebene wird durch Faktoren wie Psychologische Sicherheit, Feedbackmechanismen, Transparenz, kontinuierliche Verbesserung, Lernen und Orientierung an der Kundschaft beeinflusst. Diese Faktoren schaffen eine Umgebung, in der Teammitglieder sich sicher fühlen, Ideen auszutauschen und zu lernen. Psychologische Sicherheit ist dabei von besonderer Bedeutung, da sie das Vertrauen und die Offenheit im Team fördert.

Stärkung der Psychologischen Sicherheit auf Teamebene

Um Psychologische Sicherheit zu fördern, gibt es gezielte Werkzeuge, die in der täglichen Zusammenarbeit kontinuierlich eingesetzt werden können:

  • “Beyond Leadership”: Eine innovative Teamentwicklungs-Methode, die darauf abzielt, das Vertrauen, das gegenseitige Kennenlernen und die gemeinsame Ausrichtung zu stärken.
  • Check-ins/Connect: Bevor die eigentliche Teamarbeit beginnt, wird bewusst Raum für persönliches Wohlbefinden geschaffen. Dies könnte eine kurze Runde persönlicher Updates oder Achtsamkeitsübungen sein, um eine positive Atmosphäre zu schaffen. Diese einfache, aber wirksame Methode fördert eine achtsame Präsenz und schafft eine entspannte Umgebung, in der sich Teammitglieder wohl und unterstützt fühlen.
  • “Wertschätzungs-Dusche”: Hier geht es um mehr als nur Worte. Teammitglieder geben sich gegenseitig nicht nur positives Feedback, sondern unterstreichen ihre Wertschätzung durch konkrete Beispiele für gelungene Leistungen. Teammitglieder ermutigen sich in einem regelmässigen Austausch, indem sie konkrete Erfolge anerkennen und somit eine Kultur der Wertschätzung und Zusammenarbeit fördern.
  • Retrospektiven: Am Ende eines Projekts oder Sprints werden in strukturierten Team-Meetings nicht nur Erfolge gefeiert, sondern auch Herausforderungen und Verbesserungspotenziale bezüglich Zusammenarbeit und Arbeitsprozessen reflektiert. Dies schafft Raum für ehrliche Diskussionen, fördert die Lernbereitschaft und ermöglicht die Planung von konkreten Massnahmen zur Weiterentwicklung.
  • Aus Fehlern lernen: Das Führen eines “Fehlerlogbuchs” geht über blosses Dokumentieren hinaus. Es ist eine Methode, um Erkenntnisse aus Fehlern zu sammeln und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Denken Sie an ein geteiltes elektronisches Tagebuch, in dem Teammitglieder ihre Erfahrungen teilen, voneinander lernen und somit eine offene Fehlerkultur fördern.
  • “Ja, und…” anstatt “Ja, aber…”: Eine positive Dialogkultur fördern, in der Gegenargumente in konstruktive Fragen oder Ideen umgewandelt werden. Hier geht es darum, eine Kultur zu schaffen, in der die Teammitglieder aufeinander aufbauen, anstatt Ideen zu blockieren. Anstatt mit “Ja, aber…” negative Energie zu erzeugen, wird der Fokus auf “Ja, und…” gelegt, was bedeutet, dass jeder Beitrag als wertvoll betrachtet wird. Dies fördert eine offene Atmosphäre, in der Gegenargumente nicht als Widerstand, sondern als Bausteine für konstruktive Lösungen betrachtet werden. Stellen Sie sich vor, während einer Brainstorming-Sitzung würde nicht nur akzeptiert, sondern aktiv ermutigt, dass Teammitglieder Vorschläge mit eigenen Ideen ergänzen. Diese positive Herangehensweise fördert die Kreativität und Zusammenarbeit.
  • Verhaltensorientiertes Feedback/Lob geben: Konkrete Beispiele für gelungene Leistungen unterstreichen die Wertschätzung innerhalb des Teams. Statt allgemeiner Lobpreisungen wird hier der Fokus auf konkretes und individualisiertes Feedback gelegt. Anstatt zu sagen “Gut gemacht!”, wird die Anerkennung durch die Hervorhebung spezifischer Handlungen verstärkt. Zum Beispiel könnte es heissen: “Deine Präsentation hat durch klare Struktur und überzeugende Beispiele einen starken Eindruck bei den Stakeholdern XY hinterlassen.” Dies schafft nicht nur ein tieferes Verständnis für die geschätzten Leistungen, sondern fördert auch ein Umfeld der Wertschätzung und Anerkennung, was wiederum die Motivation und Produktivität steigert.
  • Verhaltensorientiertes Feedback/Kritik geben: Kritik wird in konkrete, beobachtbare Verhaltensweisen umgewandelt, um konstruktive Entwicklungen zu fördern. Hier steht die konstruktive Weiterentwicklung im Vordergrund. Anstatt vage Kritik zu äussern, wird darauf geachtet, spezifische beobachtbare Verhaltensweisen anzusprechen. Anstatt zu sagen “Du warst nicht effektiv in der Präsentation”, könnte die Kritik präzisiert werden zu “In der Präsentation habe ich bemerkt, dass die Struktur nicht klar war, was anhand dieser konkreten Feedbacks zu Verwirrung bei den Zuhörern führte”. Diese Art von Feedback ermöglicht es den Teammitgliedern, konkret an ihren Schwächen zu arbeiten und fördert die kontinuierliche Verbesserung im Team.

Die Entwicklung einer effektiven Fehlerkultur ist nicht nur für den individuellen und organisatorischen Lernprozess von entscheidender Bedeutung, sondern auch für den Erfolg in einer sich ständig verändernden Geschäftsumgebung. Eine offene Kommunikation, Transparenz, Vertrauen, und eine lernorientierte Führung sind die Grundpfeiler, um eine solche Kultur zu stärken. Auf den Ebenen der Organisation, des Einzelnen und des Teams können gezielte Massnahmen ergriffen werden, um die Fehlerkultur zu fördern und so ein Umfeld zu schaffen, in dem Innovation und kontinuierliche Verbesserung gedeihen können.

* Bruch, H., Schuler, A., & Barton, L. (2022): Inspirierend-multimodale Führung Leadership zwischen Leistungsdruck, Präzision und Exploration. Zeitschrift für Führung und Organisation 6/2022: 378-386.