Reto Rüegger, 18. November 2024
Der Fachkräftemangel stellt für viele Unternehmen eine enorme Herausforderung dar. Eine bedeutende Veränderung in der Arbeitswelt ist notwendig, um die richtigen Talente anzuziehen und zu halten – insbesondere die viel zitierte „Generation Z.“ Einige CEOs und HR-Experten vertreten die Meinung, dass New Work, wie es vom Vordenker Frithjof Bergmann konzipiert wurde, das Potenzial hat, dem Fachkräftemangel nachhaltig zu begegnen. Ein CEO eines Versicherungs-Startups hat neulich beim eevo NewWork Morning es auf den Punkt gebracht: „Wir haben kein Problem mit Generation Z und Fachkräftemangel; unsere Kultur ist so gut, die jungen Menschen wollen bei uns arbeiten.“ Hier geht es zu eevo NewWork Mornings.
Doch was genau steckt hinter diesem Konzept, und wie kann es zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen?
New Work: Frithjof Bergmanns Vision und der Ansatz für mehr Freiheit und Selbstbestimmung
New Work, wie es vom Philosophen und Visionär Frithjof Bergmann entwickelt wurde, geht über klassische Arbeitsmodelle hinaus. Bergmanns Idee war es, Arbeit neu zu denken – als etwas, das nicht nur Einkommen sichert, sondern den Menschen Sinn, Selbstbestimmung und Freiheit ermöglicht. Seine Überzeugung: Die Menschen sollten „arbeiten, was sie wirklich, wirklich wollen“. Bergmann glaubte, dass diese Freiheit zu höherer Kreativität, grösserer Produktivität und tieferer Verbundenheit zum Unternehmen führen würde.
Dieser Gedanke ist besonders für jüngere Generationen attraktiv. Laut Studien legt die Generation Z grossen Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, auf Flexibilität sowie auf die Möglichkeit, sich im Beruf selbst verwirklichen zu können. Sie suchen weniger nach einem reinen Arbeitsplatz, sondern nach einem „Place to Be“, einem Ort, an dem sie sich entwickeln können und der ihren persönlichen Werten entspricht.
Der Fachkräftemangel und die Forderung nach Sinnhaftigkeit in der Arbeit
Der demografische Wandel, gekoppelt mit veränderten Erwartungen an den Arbeitsmarkt, verstärkt den Fachkräftemangel. Unternehmen müssen sich zunehmend bewusstwerden, dass die Anforderungen der jüngeren Generation weit über das monetäre Gehalt hinausgehen. Flexible Arbeitszeiten, Remote-Work-Möglichkeiten, flache Hierarchien und die Möglichkeit, an sinnvollen Projekten zu arbeiten, werden für die Entscheidung über den Arbeitgeber immer wichtiger.
New Work bietet hier den nötigen Rahmen, indem es Flexibilität und Eigenverantwortung in den Mittelpunkt stellt. Arbeitsmodelle, die auf Vertrauen und Eigenverantwortung basieren, fördern sowohl die Motivation als auch die Bindung der Mitarbeitenden. Unternehmen, die Bergmanns Ideen aufgreifen und eine offene, unterstützende Kultur schaffen, können sich vom klassischen Arbeitsmarkt abheben und zu Magneten für Talente werden.
Kultur als Schlüssel: Was Startups und innovative Unternehmen vormachen
Einige Unternehmen haben erkannt, dass New Work nicht nur ein Konzept ist, sondern ein Wettbewerbsvorteil. So erklärte ein CEO eines Versicherungs-Startups, dass er keine Probleme hat, junge Talente anzuziehen. Der Grund: Eine Unternehmenskultur, die auf Offenheit, Mitbestimmung und kreativen Freiraum setzt. Wenn Unternehmen eine Kultur etablieren, die auf Vertrauen und Freiheit basiert, fühlen sich Mitarbeiter:innen als wertvolle Teile des Ganzen und sind bereit, sich langfristig zu engagieren.
Dieser Ansatz zeigt, dass es oft nicht nur um die Einführung neuer Arbeitsmodelle geht, sondern um das Fundament, auf dem diese Modelle aufbauen – die Kultur. Eine Unternehmenskultur, die Freiräume schafft, persönliche Werte berücksichtigt und Entwicklungsmöglichkeiten bietet, wird für junge Menschen attraktiver und kann dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
„Take care of your employees, and they will take care of your business.“
Richard Branson, Gründer der Virgin Group
Die Herausforderung für traditionelle Unternehmen
Der Fachkräftemangel stellt besonders traditionelle Unternehmen vor Herausforderungen, da diese oft noch an hierarchischen Strukturen und klassischen Arbeitszeitmodellen festhalten. Doch gerade hier liegt die Chance für einen Wandel: Unternehmen, die bereit sind, die Prinzipien von New Work zu integrieren, können die Talente anziehen, die heute den Markt prägen. Es geht darum, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die die Individualität und das Potenzial der Mitarbeitenden fördert – und nicht darum, sie in starre Strukturen zu pressen.
New Work als Schlüssel zur Zukunft
New Work ist keine Patentlösung für den Fachkräftemangel, doch es bietet vielversprechende Ansätze, um die heutigen Erwartungen an den Arbeitsplatz zu erfüllen und somit neue Talente anzuziehen und langfristig zu binden. Ein starkes Bekenntnis zu einer modernen, flexiblen Arbeitskultur kann entscheidend sein, um auch in Zeiten des Fachkräftemangels wettbewerbsfähig zu bleiben.
Der Ansatz von Frithjof Bergmann, Arbeit so zu gestalten, dass sie Sinn stiftet und Raum für individuelle Entwicklung lässt, könnte der entscheidende Schritt sein, um die Arbeitswelt zukunftsfähig zu gestalten. Unternehmen, die diesen Wandel wagen, haben gute Chancen, ihre Teams nicht nur zu erweitern, sondern zu stärken – durch Mitarbeiter, die wirklich, wirklich arbeiten wollen, was ihnen am Herzen liegt.
6 Rezepte gegen den Fachkräftemangel. Mit sehr viel New Work Elementen als Beilage:
Flexible Arbeitsmodelle Talent Pools und Remote Work
- Hybrides Arbeiten und Homeoffice bieten Mitarbeitenden mehr Flexibilität und machen es einfacher, Talente auch ausserhalb der unmittelbaren geografischen Umgebung einzustellen.
- Job-Sharing: Zwei Personen teilen sich eine Position, was Mitarbeitenden mehr Freiraum und Balance zwischen Berufs- und Privatleben ermöglicht.
- Projektbasierte Anstellung: Bei bestimmten Projekten werden Fachkräfte temporär eingestellt, was den Zugang zu hoch spezialisierten Talenten ermöglicht, ohne diese langfristig binden zu müssen.
- Talent-Communities und Freelancer-Plattformen (z.B. Upwork, Fiverr) ermöglichen es, Talente für spezifische Aufgaben oder Projekte zu rekrutieren. Unternehmen können sich flexibel auf Marktanforderungen einstellen.
- Talent Sharing: Unternehmen teilen sich qualifizierte Fachkräfte, die temporär in beiden Unternehmen tätig sind. Dies ist besonders attraktiv, wenn Bedarf nur in bestimmten Zeiträumen oder Projekten besteht.
Automatisierung und Künstliche Intelligenz (KI)
- Robotic Process Automation (RPA) und KI-basierte Lösungen entlasten Mitarbeiter von Routinetätigkeiten. Dadurch können Unternehmen mit weniger Personal mehr erreichen und bestehende Talente auf wertschöpfende Aufgaben konzentrieren.
- Chatbots und KI im Kundenservice reduzieren die Notwendigkeit für grosse Kundenserviceteams, da einfache Anfragen automatisch bearbeitet werden.
Schulung und Weiterbildung (Reskilling und Upskilling)
- Interne Schulungsprogramme: Mitarbeiter werden gezielt für neue Aufgabenbereiche ausgebildet, die für das Unternehmen relevant sind. So wird aus bestehenden Talenten ein neuer Pool qualifizierter Fachkräfte.
- Partnerschaften mit Bildungsinstitutionen: Kooperationen mit Universitäten, Hochschulen und Online-Lernplattformen helfen dabei, die nötigen Fähigkeiten direkt am Markt zu entwickeln.
- Microlearning und Mobile Learning: Kurze, digitale Lerninhalte, die Mitarbeitende jederzeit und überall konsumieren können, machen das Lernen flexibel und alltagsnah.
- Reverse Mentoring: Jüngere Mitarbeitende teilen ihr Wissen über digitale Trends oder Social Media mit älteren Kollegen, während sie selbst von deren Erfahrung profitieren.
- Co-Learning-Plattformen und Wissensdatenbanken: Interne Plattformen und regelmässige Workshops fördern den Austausch von Wissen und Skills und unterstützen Mitarbeiter dabei, sich weiterzuentwickeln.
Förderung einer attraktiven Unternehmenskultur
- New-Work-Konzepte: Sinnstiftende Arbeitsinhalte und Selbstbestimmung (nach Frithjof Bergmanns Konzept) sind besonders attraktiv für jüngere Generationen. Unternehmen, die Sinn, Flexibilität und Werte bieten, haben oft weniger Schwierigkeiten, Talente anzuziehen.
- Stärkung von Diversity und Inklusion: Eine diversifizierte Belegschaft ermöglicht Zugang zu einer grösseren Talentbasis und schafft ein positives, attraktives Arbeitsklima.
- Offene Feedbackkultur und Entwicklungsangebote: Mitarbeitende, die sich geschätzt und gehört fühlen, sind weniger geneigt, das Unternehmen zu verlassen und bleiben langfristig loyal.
Innovative Personalmarketing- und Rekrutierungsstrategien
- Social Media Recruiting und Employer Branding: Ein authentischer Auftritt auf Plattformen wie LinkedIn, Instagram und TikTok kann dabei helfen, die Unternehmenswerte und Kultur zu zeigen und gezielt die Generation Z und Millennials anzusprechen.
- Gamification im Recruiting: Durch spielerische Elemente und kreative Recruiting-Formate (z.B. Escape-Room-Herausforderungen) wird die Anwerbung nicht nur innovativer, sondern spricht potenzielle Talente direkt an.
- Algorithmenbasiertes Recruiting: Mithilfe von Algorithmen können Kandidaten schneller und genauer gefunden werden, indem sie auf ihre Eignung und Passgenauigkeit für die Kultur hin überprüft werden.
- Remote-First-Strategie: Durch globales Recruiting können Unternehmen von einem grösseren Talentpool profitieren und internationale Talente für ihre Teams gewinnen.
Work-Life-Balance und Mitarbeiter-Engagement
- Gesundheitsförderung und Wellbeing-Programme: Fitness- und Gesundheitsangebote, wie Online-Workouts oder mentale Gesundheitsunterstützung, werden angeboten, um die Mitarbeiterbindung zu fördern.
- Flexibilität durch Sabbaticals und Workations: Sabbaticals oder das Arbeiten an entfernten Orten (Workations) geben Mitarbeitenden die Möglichkeit, Auszeiten zu nehmen oder sich kreativ zu entfalten, ohne das Unternehmen wechseln zu müssen.
„Flexibilität und Eigenverantwortung sind die neuen Grundpfeiler der Arbeitswelt. Nur wer darauf eingeht, wird Talente langfristig binden können.“
Prof. Jutta Rump, Expertin für Arbeitsmarktforschung
Foto von Bethany Legg auf Unsplash