Romeo Ruh, 23. Oktober 2024

Anfang Oktober gab ich einen Workshop für ein IT-Managementteam eines globalen Pharmaunternehmens, welches sich in einem sehr komplexen Umfeld befindet und als Erfolgsfaktor für Höchstleistungen auf das Thema «Mentale Gesundheit» und Positive Leadership setzt. 

Denn in dieser schnelllebigen und anspruchsvollen Arbeitswelt ist es für die Führung wichtiger denn je, ein positives und leistungsstarkes Arbeitsumfeld zu schaffen. Die zunehmende Komplexität, der ständige Druck, Ergebnisse zu liefern, können zu Stress, Demotivation und einem Gefühl der Überforderung führen. In diesem Kontext gewinnt Positive Leadership an Bedeutung. Dieser Ansatz konzentriert sich auf die Stärken der Mitarbeitenden, fördert positive Emotionen und Beziehungen und unterstützt die Entwicklung von Resilienz und innerer Stärke. 

Positive Leadership geht nicht nur darum, toxisches Verhalten zu vermeiden, sondern vielmehr darum, aktiv eine Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und der Unterstützung zu schaffen. 

Die Macht der positiven Führung

Positives Führungsverhalten hat einen direkten Einfluss auf die Leistung und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Eine anschauliche Analogie hierfür ist die sogenannte “Red Zone vs. Green Zone Chickens” Studie aus der Tierwelt. Diese Untersuchung zeigt, dass unterstützende Umgebungen, in denen Zusammenarbeit und positive Interaktion im Vordergrund stehen (“Green Zone”), zu einer signifikanten Steigerung der Produktivität führen (in diesem Fall eine Steigerung der Eierproduktion um 260% in einem Jahr). Im Gegensatz dazu führen feindselige und übertrieben wettbewerbsorientierte Umgebungen (“Red Zone”) zu negativem Verhalten, Konflikten und letztendlich sogar dazu, dass die Hälfte der Hühner von ihren Artgenossen getötet wurden.  

Diese Erkenntnisse lassen sich direkt auf die Arbeitswelt übertragen. Führung, die ein positives Arbeitsklima schaffen, in dem sich Mitarbeitende wertgeschätzt und unterstützt fühlen, fördern damit Engagement und Leistungsbereitschaft. Umgekehrt können toxisches Führungsverhaltensweisen und ein negatives Arbeitsumfeld zu Stress, Burnout, Demotivation und einer hohen Fluktuationsrate führen. 

Die fünf Säulen von Positive Leadership, die auf dem PERMA-Modell der Positiven Psychologie basieren, sind: 

  • Positive Emotionen: Positive Emotionen wie Freude, Dankbarkeit und Optimismus tragen zu einem gesteigerten Wohlbefinden, höherer Motivation und besserer Leistungsfähigkeit bei. Führungspersonen können positive Emotionen fördern, indem sie Erfolge feiern, Wertschätzung und Anerkennung aussprechen und ein positives Arbeitsklima schaffen. 
  • Engagement: Engagement beschreibt den Zustand, in dem Mitarbeitende mit Begeisterung und Leidenschaft bei der Arbeit sind und bereit sind, sich voll einzubringen. Führungspersonen können Engagement fördern, indem sie die Stärken ihrer Mitarbeitenden erkennen und diese bei der Aufgabenverteilung berücksichtigen. Individuelle Förderung, Entwicklungsmöglichkeiten und die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen, tragen ebenfalls zu einem gesteigerten Engagement bei. 
  • Beziehungen: Positive Beziehungen am Arbeitsplatz schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit, des Vertrauens und der gegenseitigen Unterstützung. Führungspersonen können positive Beziehungen fördern, indem sie offene Kommunikation, Teamwork und einen respektvollen Umgang miteinander fördern. 
  • Sinnhaftigkeit: Sinn beschreibt das Gefühl, dass die eigene Arbeit einen Beitrag zu etwas Grösserem leistet und einen Wert hat. Führungspersonen können den Sinn der Arbeit vermitteln, indem sie die Bedeutung der Aufgaben und Projekte im Kontext der Unternehmensziele erklären und die Mitarbeitenden an Entscheidungsprozessen beteiligen. 
  • Zielerreichung: Erfolgserlebnisse und die Anerkennung von Leistungen sind wichtige Motivationsfaktoren. Führungspersonen sollten Erfolge feiern, Lob und Anerkennung aussprechen und die Mitarbeitenden bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen. 

Negative Führungsgewohnheiten im Fokus

Neben der Förderung positiver Aspekte ist es ebenso wichtig, negative Führungsgewohnheiten zu erkennen und zu verändern. Solche “schlechten” Gewohnheiten untergraben die Effektivität in der Führung und führen zu negativen Auswirkungen im Arbeitsumfeld (aus dem Buch «What got you here won’t get you there» von Marshall Goldsmith): 

  • Zu viel gewinnen wollen (um jeden Preis): Übertriebener Ehrgeiz und die ständige Suche nach Erfolg können zu einem ungesunden Wettbewerbsdenken und einem Klima der Angst führen. 
  • Zu viel Wert hinzufügen wollen: Das ständige Einmischen und “Verbessern” der Arbeit von Mitarbeitenden kann demotivierend wirken und die Eigeninitiative ersticken. 
  • Urteile fällen: Vorschnelle Urteile und Kritik können das Vertrauen der Mitarbeitenden schädigen und zu einem negativen Arbeitsklima führen. 
  • Destruktive Kommentare: Sarkastische oder abwertende Bemerkungen vergiften die Atmosphäre und wirken sich negativ auf die Motivation und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden aus. 
  • Sätze mit “Nein”, “Aber” oder “Jedoch” beginnen: Diese Wörter signalisieren Ablehnung und können die Kommunikation behindern. 
  • Der Welt erzählen, wie schlau man ist: Arroganz und Überheblichkeit stossen Mitarbeitende ab und schädigen das Teamklima. 
  • Im Ärger sprechen: Emotionale Ausbrüche und unüberlegte Äusserungen im Affekt können zu Konflikten und einem Vertrauensverlust führen. 
  • Negativität oder “Lass mich erklären, warum das nicht funktioniert”: Eine negative Einstellung und die ständige Suche nach Problemen wirken demotivierend und blockieren Kreativität und Innovation. 
  • Informationen zurückhalten: Mangelnde Transparenz schafft Misstrauen und Unsicherheit. 
  • Versäumnis, angemessene Anerkennung zu geben: Wenn Leistungen nicht anerkannt und gewürdigt werden, sinkt die Motivation der Mitarbeitenden. 
  • Sich Verdienste anrechnen, die man nicht verdient: Unehrlichkeit und das “Abgreifen” von Erfolgen anderer schaffen ein Klima des Misstrauens und der Ungerechtigkeit. 
  • Ausreden finden: Die ständige Suche nach Entschuldigungen und die Verweigerung der Verantwortung für Fehler wirken unprofessionell und schädigen das Ansehen der Führungskraft. 
  • An der Vergangenheit festhalten: Die Unfähigkeit, aus Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln, behindert den Fortschritt. 
  • «Favoriten» haben: Die Bevorzugung einzelner Mitarbeitender schafft Neid und Konflikte im Team. 
  • Sich weigern, Bedauern auszudrücken: Die Unfähigkeit, Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen, zeigt einen Mangel an Demut und Reife. 
  • Nicht zuhören: Wenn Führungspersonen ihren Mitarbeitenden nicht zuhören, verpassen sie wichtige Informationen und zeigen Desinteresse. 
  • Versäumnis, Dankbarkeit auszudrücken: Mangelnde Wertschätzung und Dankbarkeit können zu Demotivation und einem Gefühl der Geringschätzung führen. 
  • Den Überbringer der Botschaft bestrafen: Wenn Mitarbeitende Angst haben, schlechte Nachrichten zu überbringen, werden wichtige Informationen unterdrückt. 
  • Den Schwarzen Peter weitergeben oder alle anderen beschuldigen: Die Verweigerung der Verantwortung für eigene Fehler und die Suche nach Sündenböcken schaffen ein Klima des Misstrauens und der Angst. 
  • Ein übermässiges Bedürfnis, “ich” zu sein (Fehler werden zu Tugenden): Egozentrik und die Unfähigkeit, Kritik anzunehmen, hindern die persönliche und berufliche Weiterentwicklung. 

Führungspersonen sollten sich ihrer eigenen Gewohnheiten bewusst sein und diese kritisch hinterfragen. Welche dieser “schlechten” Gewohnheiten erkennen Sie an sich selbst? Welche würde den grössten positiven Unterschied machen, wenn Sie sie ändern würden? 

Positive Leadership in der Praxis

Folgende Praktiken und Tipps gibt es konkret, um Positive Leadership im Arbeitsalltag mehr zu verkörpern und erlebbarer zu machen: 

Regelmässiges Besprechen von Erfolgen in Teambesprechungen: Indem Erfolge und positive Entwicklungen in den Fokus gerückt werden, schaffen Führungspersonen eine positive und motivierende Atmosphäre. 

Setzen von persönlichen Entwicklungszielen: Neben den fachlichen Zielen sollten auch persönliche Entwicklungsziele vereinbart werden. Dies zeigt den Mitarbeitenden, dass ihre Entwicklung wichtig ist und fördert ihr Engagement. 

Lob für kleine Erfolge und ausgiebiges Feiern von grossen Erfolgen: Anerkennung und Wertschätzung sind wichtige Motivatoren. Auch kleine Erfolge sollten gewürdigt werden, während grosse Erfolge gebührend gefeiert werden sollten. 

Hervorhebung positiver Beiträge von Teammitgliedern: Indem die positiven Beiträge der Mitarbeitenden in Meetings und anderen Zusammenhängen hervorgehoben werden, stärkt die Führungskraft das Teamgefühl und die Motivation. 

Transparente Kommunikation von Entscheidungen: Klare Kommunikation über Entscheidungen und deren Hintergründe schafft Vertrauen und Akzeptanz. 

Fokus auf die Stärken der Mitarbeitenden bei der Projektvergabe: Indem die Stärken der Mitarbeitenden bei der Aufgabenverteilung berücksichtigt werden, steigert die Führungskraft die Motivation und fördert die Entwicklung. 

Förderung einer offenen Feedbackkultur: Eine offene und konstruktive Feedbackkultur ermöglicht es den Mitarbeitenden, sich weiterzuentwickeln und ihre Leistung zu verbessern.