Die fünf Dimensionen für eine effektive Führung, Teil 5: Psychologische Sicherheit

Florian Achermann, 8. August 2024

Psychologische Sicherheit ist ein Konzept, das in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. Es beschreibt das Gefühl der Gruppen- bzw. Teammitglieder, Risiken einzugehen, Fehler zuzugeben und Meinungen offen zu äussern. Dabei muss kein Teammitglied negative Konsequenzen befürchten. Diese Art von Sicherheit, eine angstfreie Arbeitsumgebung, ist entscheidend für die Förderung von Innovation, Kreativität und insgesamt besserer Leistung in Gruppen und ist der Schlüsselfaktor für Spitzenleistungsteams. Für die einfachere Lesbarkeit wird in diesem Beitrag kein Unterschied zwischen einer Arbeitsgruppe und einem echten Team gemacht. Dazu kommen wir bei einem nächsten Beitrag.

Ursprung des Konzeptes der Psychologischen Sicherheit

Psychologische Sicherheit wurde von der Harvard-Professorin Amy Edmondson umfassend erforscht. Dazu gibt es ihr spannendes Buch: “Die angstfreie Organisation” aus dem Jahr 2020. Sie definiert psychologische Sicherheit als “einen geteilten Glauben daran, dass das Team ein sicherer Ort für zwischenmenschliche Risiken ist”. Edmondson betont, dass psychologische Sicherheit nicht bedeutet, dass es keine Konflikte gibt, sondern dass Menschen sich sicher fühlen, diese Konflikte anzusprechen und konstruktiv zu lösen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Vertrauen und der Respekt innerhalb des Teams. Studien zeigen, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit eher bereit sind, Fehler als Lernmöglichkeiten zu betrachten, was zu kontinuierlicher Verbesserung führt.

Das Vier-Stufen-Modell der psychologischen Sicherheit von Timothy R. Clark

Psychologische Sicherheit lässt sich nicht einfach an- oder ausschalten; laut Clark entwickelt sie sich vielmehr Stück für Stück. In seinem 2023 erschienenen Buch «Die vier Stufen der psychologischen Sicherheit» beschreibt er die typischen Schritte, die Organisationen dabei durchlaufen. Die vier Stufen:

  1. Die Sicherheit der Inklusion, der «Einbeziehung»: «Menschen wie Menschen behandeln». Teammitglieder fühlen sich akzeptiert und respektiert, unabhängig von ihren Unterschieden. Jede:r darf dazugehören, wird respektiert und niemand wird bedroht. Eigene Unsicherheit und zu wenig gefühlte Wertschätzung können diese Sicherheit der Inklusion behindern. Ein grosser Teil der Arbeit findet in einem ersten Schritt bei einem selbst statt.
  2. Die Sicherheit des Lernens: Die zweite Stufe basiert auf der Annahme, dass alle Menschen von Natur aus lernen und wachsen wollen. Um zu lernen, gehen wir Risiken ein, probieren Neues aus und machen dabei Fehler. Fehler und Fragen werden als integraler Bestandteil des Lernprozesses betrachtet. Es gilt: Misserfolge nicht bestrafen und Neugier fördern.
  3. Die Sicherheit des Beitragens: Stufe Drei. Alle im Team fühlen sich ermutigt, ihre Ideen und Meinungen einzubringen. Im Gegenzug für die Leistung soll die Organisation den Mitarbeiter:innen grössere Autonomie zugestehen, Verantwortung abgeben unabhängiges Arbeiten ermöglichen.
  4.  Die Sicherheit des Herausforderns: Die vierte und höchste Stufe. Es ist möglich, mit guten Absichten den Status quo zu hinterfragen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Wer mutig ist und den Status quo hinterfragt, kann sich blamieren oder auf Ablehnung stossen. Hier braucht es emotionalen und sozialen Schutz von allen, damit dies möglich ist. Führungsrollen tragen eine besondere Verantwortung, diesen Schutz zu gewährleisten.

Google’s Projekt Aristoteles

Eine im 2012 gestartete Studie von Google identifizierte psychologische Sicherheit als den wichtigsten Faktor für erfolgreiche Teams. Die Studie, bekannt unter dem Namen  «Projekt Aristoteles», zeigte, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit eher bereit waren, Wissen zu teilen, was zu einer höheren kollektiven Intelligenz führte. Ziel der Studie war es, die zentralen Eigenschaften von Hochleistungsteams zu finden. Weitere wichtige Faktoren aus der Studie sind Zuverlässigkeit, klare Strukturen & Rollen, sinnvolle Arbeit und der positive Einfluss, die Wirkung der Arbeit.

Die drei Dimensionen von Joachim Maier

Joachim Maier fasste die Ergebnisse von Edmondson, Clark und Google zusammen und definierte drei Dimensionen psychologischer Sicherheit:

  1. Angstfrei Risiken in der Beziehungsgestaltung eingehen (Amy Edmondson): Die Möglichkeit, den inneren Monolog nach aussen kehren zu können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben.
  2. Durchschnittliche soziale Sensibilität (Google’s Projekt Aristoteles): Jede:r im Team ist in der Lage und willens wahrzunehmen, wie es dem Gegenüber gerade geht.
  3. Gleichberechtigter Gesprächsanteil (Google’s Projekt Aristoteles): Am Ende des Tages sind alle ungefähr gleich häufig zu Wort gekommen und haben gleich grosse Redeanteile erhalten.

Diese drei Dimensionen bettet er in das von Timothy R. Clark beschriebene Konzept der «Schaffung eines Umfelds belohnter Verletzlichkeit» ein.

Bedeutung und Vorteile der psychologischen Sicherheit

Psychologische Sicherheit hat weitreichende Vorteile für Organisationen und Teams:

  • Innovation und Kreativität: Teammitglieder sind eher bereit, kreative und innovative Lösungen vorzuschlagen, wenn sie keine Angst vor negativen Konsequenzen haben.
  • Lernkultur: Eine Umgebung, in der Fehler als Lernmöglichkeiten betrachtet werden, fördert kontinuierliches Lernen und Verbesserung.
  • Engagement und Zufriedenheit: Teammitglieder fühlen sich wohler und sind engagierter, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Beiträge geschätzt und respektiert werden.
  • Effektive Kommunikation: Offene und ehrliche Kommunikation wird gefördert, was zu besseren Entscheidungen und effektiverer Zusammenarbeit führt.

Faktoren, die psychologische Sicherheit beeinflussen

Führungsarbeit: Führungsarbeit spielt eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer sicheren Umgebung. Sie soll Offenheit und Unterstützung demonstrieren und ein Vorbild für respektvollen Umgang sein.

Teamdynamik: Teams, die Diversität und Inklusion fördern, schaffen eher eine Kultur der psychologischen Sicherheit.

Organisationskultur: Eine Kultur, die Transparenz und offene Kommunikation betont, unterstützt die Entwicklung von psychologischer Sicherheit.

Fazit

Psychologische Sicherheit ist ein grundlegender Aspekt erfolgreicher Teamarbeit und Organisationsentwicklung. Sie ermöglicht es Mitarbeiter:innen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, fördert Innovation und führt zu einer insgesamt besseren Arbeitsatmosphäre. Organisationen sollten daher gezielt Massnahmen ergreifen, um psychologische Sicherheit zu fördern und in ihre Unternehmenskultur zu integrieren.

Psychologische Sicherheit als Gruppenphänomen erfordert kontinuierliche Pflege und lässt sich nicht durch einmalige Events wie Teambuilding-Aktivitäten allein erreichen. Vielmehr braucht sie tägliche Aufmerksamkeit, sowohl in den kleinen Details der zwischenmenschlichen Beziehungen als auch im gesamten Entwicklungsprozess des Teams. Nur durch konstante Pflege und Beachtung kann ein Team langfristig ein Umfeld schaffen, in dem sich alle Mitglieder sicher fühlen, ihre Meinungen zu äussern, Risiken einzugehen und gemeinsam zu wachsen.

Dies erfordert ein bewusstes Engagement von Führungsrollen und eine kontinuierliche Reflexion und Anpassung der Team- und Organisationsdynamik.

Wir von eevo.ch freuen uns auf eure Rückmeldungen, Fragen, Gedanken und Kommentare.

Weiterführende Links:

Amy Edmondson: Fearless – Creating Psychological Safety for Learning, Innovation, and Growth (youtube.com)

Introduced Webinar ft. Dr Timothy Clark: The 4 Stages of Psychological Safety (youtube.com)