Teamkompetenz: Entscheide fällen, die Matrix
Florian Achermann, 7. Februar 2024, Update am 25.09.2024
Jede:r von uns steht mit der eigenen Rolle, dem Team oder dem gesamten Bereich täglich vor der Herausforderung, Entscheidungen zu treffen. Mit neuen Organisationsformen wie Holokratie, Soziokratie und Agilität rückt das Team stärker in den Vordergrund. Auch klassisch hierarchisch organisierte Unternehmen lassen Mitarbeiter:innen und Teams immer mehr partizipieren und mitgestalten – und somit mitentscheiden. Organisationen erweisen sich als langfristig resilienter, wenn sie Entscheide auf mehrere Schultern verteilen und dabei unterschiedliche Perspektiven einbeziehen. Wann ist welcher Ansatz hilfreich? Und welche Zwischenstufen und Methoden gib es zwischen dem Einzelentscheid und dem Einbezug aller im Team oder gar der gesamten Unternehmung?
Um diese Fragen etwas einfacher zu beantworten, haben wir bei eevo dafür eine Entscheid-Matrix entwickelt. Wir unterscheiden für die Antworten zwischen zwei Dimensionen:
- Die Ursache-Wirkungs-Beziehung, Kausalität
- Die Entscheidresilienz
Erste Dimension: Die Ursache-Wirkungs-Beziehung, Kausalität
Diese Dimension bezieht sich auf die Frage, wie gut sich Ursache und Wirkung vorhersagen lassen. Wir unterscheiden zwischen simpel, kompliziert und komplex. Bei simplen Ursache-Wirkungs-Beziehungen lassen sich diese sofort auf einen Blick erfassen. Ein Beispiel für eine simple Ursache-Wirkungs-Beziehung kann ein Fahrrad sein. Man sieht auf einen Blick: Wenn ich in die Pedalen trete, fahre ich. Komplizierte Kausalitäten kann ich analysieren und ohne Überraschung umsetzen oder reproduzieren. Kompliziert kann das Auseinandernehmen und Zusammensetzen einer mechanischen Uhr sein. Ich brauche Zeit, um es zu verstehen oder entsprechende Experten dazu… Komplexe Ursache-Wirkungs-Beziehungen lassen sich erst im Nachhinein erklären und können uns immer wieder mit Unerwartetem überraschen. Sobald der Faktor Mensch ins Spiel kommt, können wir mit grösster Wahrscheinlichkeit von einer komplexen Kausalität ausgehen. Mehr zu dem Thema findet sich im Artikel Führungsarbeit – Kompliziert vs. Komplex
Zweite Dimension: Entscheidresilienz
Diese bezieht sich auf die Stabilität einer Entscheidung, effektiv zu bleiben, auch wenn sich die Umstände ändern oder schwierige Herausforderungen auftreten. Es geht darum, dass die getroffene Entscheidung stark genug ist, um Störungen, unerwartete Ereignisse oder ungewohnten Druck standzuhalten und trotzdem die gewünschten Ziele zu erreichen.
Entscheidungen mit hoher Resilienz sind so gestaltet, dass sie nicht nur im Moment funktionieren, sondern auch flexibel genug sind, um sich an zukünftige Veränderungen zu unterstützen. Sie sind in der Lage, auch bei neuen Herausforderungen zu bestehen. Dies bedeutet, dass solche Entscheidungen oft durchdacht, gut informiert und breit abgestützt sind, sodass sie nicht bei der ersten Schwierigkeit scheitern oder umgangen werden.
Die Kombination – Entscheidresilienz-Kausalitätsmatrix
Kombinieren wir die Ursache Wirkungs-Beziehung und die Entscheid-Resilienz, wird es spannend.
Grundsätzlich könnte man daraus folgern, dass man ultimativ effektive Entscheide möchte, die jeder Widrigkeit trotzen. Doch die Sache hat einen Haken: Einstimmiges Commitment ist, je grösser die Organisation und je komplexer die Herausforderung, enorm ressourcenaufwendig. In jeglicher Hinsicht. Zeitlich, finanziell und oft auch für die Nerven der Teilnehmenden. Das Einstimmige Commitment muss seiner Investition also gerecht werden und in dem Sinne profitabel sein.
Die wohl «balancierteste» Methode ist hier der Konsententscheid. Genügend resilient um eine Vielzahl von komplexen Entscheiden über einen guten Zeitraum zu tragen und relativ “kostengünstig” in der Anwendung. Wir werden in diesem Beitrag stärker auf den Konsententscheid und das systemische Konsensieren eingehen.
Auszug verschiedener Entscheidungsmethoden kurz erklärt
Wir haben hier nur eine Handvoll Entscheidungsmethoden und Prozesse dargestellt, um die Idee der Kausalität und Entscheidresilienz zu verdeutlichen. Es gibt natürlich noch viele mehr. Hier unsere Auswahl, mit der wir bereits sehr gute Erfahrungen machen konnten:
- Individual- Und Rollenentscheid
- Das Kollegiale Konsultativverfahren
- Mehrheitsentscheide im Team
- Konsententscheid
- Systemisches Konsensieren
- Konsensentscheid
- Das einstimmige Commitment
1. Individual- und Rollentscheide: Der Experten-Ansatz
Hier geht’s um Entscheidungen, die eine Person allein trifft, oft aufgrund ihrer spezifischen Rolle oder Expertise. Super, wenn es schnell gehen muss und die Verantwortung klar definiert ist. Aber Vorsicht: Einseitigkeit und mangelnde Perspektivenvielfalt können Fallstricke sein. Dieser Ansatz eignet sich besonders gut für simple bis komplizierte Entscheide (siehe dazu den Beitrag zu kompliziert vs. Komplex), also Entscheide in Problemräumen, die uns nicht überraschen. Gleichzeitig ist die Entscheidungsgeschwindigkeit relativ schnell bzw. wird nur von der entscheidenden Person und der Problemstellung beeinflusst.
2. Kollegiales Konsultativverfahren: Der Einzelentscheid mit Zusatzweite
Hierbei fliessen Meinungen und Perspektiven mehrerer Kollegen in einen Entscheidungsprozess ein, wobei die finale Entscheidung weiterhin individuell getroffen wird. Es wird Input und Rat abgeholt, entschieden wird selber. Das kollegiale Konsultativverfahren eignet sich sehr gut für die Zwischenräume zwischen den individuellen Rollenentscheiden und Team- bzw. Konsentmethoden. Ein gutes Beispiel aus dem Alltag ist, wenn das individuelle Materialanschaffungsbudget überschritten wird, jedoch nicht den Aufwand für einen Team- oder Konsententscheid rechtfertigt. Anstelle der 3’000 CHF, die in meiner Rollenkompetenz liegen, geht es um 4’500 CHF. Ab 7’000 könnte man einen Teamentscheid durchführen, da es einen spürbaren Einfluss auf das Teambudget hätte.
3. Teamentscheid mit Mehrheitsabstimmung: Die Demokratie in Aktion
Hier stimmt das Team ab und die Mehrheit gewinnt. Es ist schnell, effektiv und vermeidet endlose Diskussionen. Allerdings können Minderheitenmeinungen untergehen. Widerstände werden mit dieser Methode nicht explizit bearbeitet. Ist das Thema emotional stark aufgeladen, kann ein Konsententscheid oder ein systemisches Konsensieren die bessere Wahl sein, damit die Minderheit mit starkem Widerstand nicht in die Opposition geht. Sonst kann es passieren, dass der gesamte Fortschritt laufend blockiert wird. Die Mehrheitsabstimmung lässt sich klassisch mit Handheben, Punkte verteilen oder Wortmeldungen durchführen.
4. Konsententscheid: Schnelligkeit trifft auf Inklusion
Konsent mit T. Ähnlich wie Konsens, aber es geht darum, dass niemand ernsthafte Einwände hat, nicht dass alle 100% zustimmen. Es ist schneller als der volle Konsens und immer noch sehr inklusiv. Hier geht es zum entsprechenden Artikel dazu: Von Chaos zu Klarheit: Der Weg zu besseren Entscheidungen | LinkedIn
5. Systemische Konsensieren: Mit Kopf und Herz
Diese Methode von Erich Visotschnig und Siegfried Schrotta begeistert immer wieder in der Anwendung. Sie ist ideal, wenn emotionale Faktoren eine Rolle spielen und man überraschende Einsichten gewinnen möchte. Gleichzeitig lädt die Methode dazu ein, gemeinsam kreative Lösungsansätze zu finden, die möglichst wenig Widerstand erzeugen. Sie löst das grosse Problem von Mehrheitsentscheidungen, bei denen grosser Widerstand der „Minderheit“ den Fortschritt blockieren kann (hier könnte man diverse Beispiele aus der Politik einfügen).
Die Magie beginnt schon am Anfang. Es wird nicht einfach ein Vorschlag präsentiert, sondern ein gemeinsames Problem oder eine Aufgabe, die es zu lösen gilt. Anschliessend entwickelt die Gruppe selbst möglichst viele Lösungsvorschläge. Sobald diese feststehen, werden sie bewertet. Jeder in der Gruppe fragt sich, wie gross der eigene Widerstand gegen jede Variante ist. Die Skala reicht von Null (kein Widerstand) bis Zehn (grösster Widerstand). Wichtig sind auch die Null-Varianten, also die Frage: Wie gross ist mein Widerstand gegen den Status Quo, also nichts zu ändern oder die Gruppe aufzulösen? Danach wird der Gesamtwiderstand für jede Lösung berechnet. Der Vorschlag mit dem geringsten Gesamtwiderstand ist die Lösung mit der grössten Akzeptanz.
Ein einfaches Beispiel: Das Team überlegt, in welches Restaurant es zum Mittagessen gehen möchte. Die möglichen Varianten werden gemeinsam erarbeitet: Fischrestaurant, Steak-House, Döner-Bude, vegetarisch usw., inklusive der Option, nicht gemeinsam essen zu gehen (Null-Variante). Anschliessend wird der Widerstand für jede Variante ermittelt, und das Restaurant mit dem geringsten Widerstand wird gewählt. Gleichzeitig bietet die Methode die Möglichkeit, mit hohen Bewertungen (Neuner oder Zehner) in den Dialog zu gehen: Was müsste passieren, damit dein Widerstand von einer 10 auf eine 7 sinkt?
6. Konsensentscheid: Alle für einen, einer für alle
Beim Konsens sucht das Team eine Lösung, mit der alle leben können. Es fördert Engagement und Akzeptanz, kann aber zeitaufwändig sein. Perfekt für Entscheidungen, bei denen das Teamgefühl wichtig ist und alle den Entscheid mittragen sollen.
7. Das Einstimmige Commitment, der Fels in der Brandung
Damit schaffen wir eine resiliente Entscheidung, die sich auch in stürmischen Zeiten halten kann. Sie ist meist mit einer grossen Investition zur Entscheidfindung verbunden. Einstimmiges Commitment kann dort angewendet werden, wo wirkliche Einigkeit, bei sehr zentralen, identitätsstiftenden Themen notwendig ist. Ein gutes Beispiel sind die Kernwerte einer Unternehmung. Wenn nicht alle mit den Kernwerten und den daraus resultierenden Handlungsprinzipien einstimmig einverstanden sind, kann es bei Schwierigkeiten oder unter schwierigen Bedingungen rasch zu unüberwindbaren Hindernissen kommen, die sogar den Fortbestand einer Unternehmung in Gefahr bringen können. Den Unterschied zum Konsens sehen wir bei dem Kraftaufwand, den es braucht, um den Entscheid aufrecht zu erhalten.
Fazit
Die Wahl der richtigen Entscheidungsmethode hängt stark von der Situation, der Dringlichkeit, der Komplexität des Themas, dem Kosten-Nutzen-Verhältnis und der Teamdynamik ab. Während Individual- und Rollenentscheidungen bei klaren Verantwortlichkeiten und schnellem Handlungsbedarf von Vorteil sind, bringen kollegiale und teambasierte Methoden die Weisheit der Gruppe ins Spiel und sind oft robuster auf lange Sicht. Entscheide in der Gruppe bieten zudem eine gute Gelegenheit, die Teammitglieder besser kennenzulernen und die Reife des Teams einzuschätzen. Sie liefern häufig erste Hinweise auf die nächste Entwicklungsmöglichkeit, um das Team noch erfolgreicher zu machen.
Dieser Beitrag soll auch die Bandbreite der Entscheidungsmethoden aufzeigen und erweitern, um zu verhindern, dass nur zwischen zwei Extremen gewechselt wird. Zwischen den Polen gibt es zahlreiche Abstufungen. Gerade bei Organisationstransformationen, von klassischen hierarchischen zu mehr partizipativen und selbstorganisierten Strukturen, sehen wir oft, dass von einem Extrem ins andere gesprungen wird: Von „die Chefs entscheiden“ hin zu „alles wird im Konsens ausdiskutiert.“ Das führt oft zu grosser Frustration.
Welche Methode bevorzugt ihr in eurem Team oder Unternehmen? Welche Methoden gehen euch aus diesem Repertoire einfacher, welche schwieriger? Teilt eure Erfahrungen und Gedanken in den Kommentaren!
Wir von eevo ag, Romeo Ruh, Stefan Iten, Reto B. Ruegger, Moreno della Picca und ich freuen uns über euer Feedback und eure Anregungen.