FEHLER ALS SPRUNGBRETT: FÜHRUNGSTEAMS FÖRDERN EINE NACHHALTIGE LERNKULTUR
«Fehler sind wie ein Trampolin – sie mögen uns kurz zurückwerfen, geben uns aber die Chance, höher zu springen und neue Perspektiven zu gewinnen.»
1. Führungsteams denken Fehler neu
In einer sich ständig verändernden und zunehmend komplexen Geschäftswelt ist die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen und sich kontinuierlich zu verbessern, von entscheidender Bedeutung. Fehlerkultur und Lernkultur sind zentrale Elemente, die Unternehmen dabei unterstützen, innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben. Dieser Artikel beleuchtet verschiedene Ansätze und Konzepte, die Führungsteams dabei helfen können, eine positive Fehler- und Lernkultur zu etablieren.
Fehler werden in Führungsteams oft als Makel betrachtet – sie sind mit Unsicherheit, Machtverlust oder negativen Konsequenzen verbunden. Ein professioneller Umgang mit Fehlern setzt eine Arbeitskultur voraus, die Vertrauen, Reflexion und Verbesserung fördert. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Organisationen, die eine offene Fehlerkultur und eine starke Lernkultur etablieren, langfristig erfolgreicher sind. Fehler sind nicht das Problem – vielmehr ist der Umgang mit ihnen entscheidend für den Fortschritt eines Unternehmens (à EY-Studie zur Fehlerkultur (2023; IBM-Studie zur Lernkultur (2021).
Doch was genau ist ein Fehler und wie unterscheidet er sich von einem Irrtum? Welche psychologischen Mechanismen spielen eine Rolle? Und wie kann eine Organisation, ein Führungsteam eine Fehlerkultur etablieren, die langfristig Innovation und Effizienz steigert?
2. Fehler vs. Irrtum – eine Unterscheidung
Fehler sind nicht gleich Fehler. Es ist wichtig, zwischen Fehlern und Irrtümern zu unterscheiden:
- Fehler: Ein Fehler entsteht, wenn eine Handlung oder Entscheidung objektiv falsch ist, obwohl die Person über die notwendigen Informationen und Fähigkeiten verfügte, um korrekt zu handeln. Fehler sind oft vermeidbar und resultieren aus mangelnder Aufmerksamkeit, Fahrlässigkeit oder Missachtung von Regeln.
Fehler (psychologisch): Fehler werden oft mit mangelnder Konzentration oder Sorgfalt in Verbindung gebracht. Psychologisch betrachtet können Stress, Überlastung oder Routineblindheit dazu führen, dass Menschen trotz besseren Wissens Fehler machen. Sie lösen häufig Schuldgefühle aus, da sie vermeidbar gewesen wären. - Irrtum: Ein Irrtum hingegen ist ein falsches Ergebnis oder eine falsche Handlung, die auf einer unvollständigen oder fehlerhaften Information oder Annahme basiert. Hier handelt es sich um ein Missverständnis oder eine Fehleinschätzung, die nicht absichtlich erfolgt.
Irrtum (psychologisch): Ein Irrtum ist das Resultat einer falschen Wahrnehmung oder Interpretation von Informationen. Psychologisch wird er oft als weniger belastend empfunden, da er nicht aus Fahrlässigkeit entsteht. Irrtümer können durch kognitive Verzerrungen (z. B. Bestätigungsfehler) oder unzureichendes Wissen begünstigt werden.
Beispiele:
Fehler: Ein Arzt verschreibt einer Patientin ein falsches Medikament, obwohl die korrekten Informationen über Allergien in der Patient:innenakte deutlich vermerkt sind. Der Fehler entsteht durch mangelnde Aufmerksamkeit beim Überprüfen der Akte.
Irrtum: Eine Ärztin diagnostiziert eine seltene Krankheit falsch, weil die Symptome des Patienten ungewöhnlich sind und die vorhandenen Informationen auf eine andere Krankheit hindeuten. Der Irrtum beruht auf einer falschen Annahme, aber nicht auf Fahrlässigkeit.
Während Fehler oft auf mangelnde Sorgfalt oder Prozessmängel zurückzuführen sind, resultieren Irrtümer aus Unwissenheit oder falschen Annahmen. Beide sollten jedoch als Lernchancen betrachtet werden.
3. DIE PSYCHOLOGIE DER FEHLER: WARUM FEHLER ALS SCHWÄCHE WAHRGENOMMEN WERDEN
Zahlreiche Studien zeigen auf, dass Menschen dazu neigen, Fehler als persönliches Versagen zu betrachten. In vielen Arbeitskulturen gilt das Eingestehen eines Fehlers als Zeichen von Schwäche oder Inkompetenz. Diese Angst vor Fehlern führt oft dazu, dass sie vertuscht werden – mit teuren Konsequenzen für Unternehmen.
«Jeder Mensch macht zwischen zwei und vier Fehler pro Stunde. Fehler
sind eine Ressource, sie zeigen uns Spielräume für Verbesserungen.»
Doch solange Fehler mit Sanktionen, negativen Konsequenzen oder gar mit persönlichem Gesichtsverlust verbunden sind, bleibt ihre Offenlegung problematisch. Psychologische Sicherheit spielt hier eine Schlüsselrolle, aber es gibt noch weitere Konzepte, die einen konstruktiven Umgang mit Fehlern aufzeigen.
Vorteile eines konstruktiven Fehlerumgangs
Allgemein gilt, dass ein konstruktiver Umgang mit Fehlern kein Selbstzweck ist – er ermöglicht entscheidende Wettbewerbsvorteile für Unternehmen:
- Innovation durch Lernen aus Fehlschlägen
Fehler geben Hinweise auf Schwachstellen und Verbesserungspotenziale. Unternehmen wie Google oder Amazon haben gezeigt, dass kontrollierte Experimente und das Akzeptieren von Fehlversuchen essenziell für bahnbrechende Innovationen sind. „Fail fast, learn fast“ ist ein zentrales Prinzip in modernen, agilen Organisationen. - Effizientere Entscheidungen durch Fehlertransparenz
Wenn Fehler offen kommuniziert werden, können Unternehmen schneller reagieren. Reasons «Swiss Cheese Model» zeigt auf, dass Fehler häufig nicht durch eine einzelne Ursache entstehen, sondern durch eine Verkettung mehrerer Faktoren. Transparente Fehleranalysen helfen der Führung und Teams, frühzeitig Korrekturmassnahmen zu ergreifen. - Bessere Führungskultur und höhere Mitarbeiter:innenzufriedenheit
Psychologische Sicherheit in Teams erhöht die Mitarbeiter:innenzufriedenheit, da sich Menschen wertgeschätzt und respektiert fühlen. Eine Studie bei Google («Project Aristotle») ergab, dass psychologische Sicherheit der wichtigste Faktor für erfolgreiche Teams ist. Die Führung, die eine offene Fehlerkultur fördert, schafft ein Arbeitsumfeld, in dem sich Mitarbeitende engagierter und innovativer zeigen. - Höhere Wettbewerbsfähigkeit durch kontinuierliche Verbesserung
Unternehmen, die aus Fehlern lernen, optimieren kontinuierlich ihre Prozesse und Produkte. Toyota beispielsweise nutzt Kaizen, eine Philosophie der kontinuierlichen Verbesserung, um Fehler als Lernchancen zu betrachten und nachhaltige Qualität zu sichern.
4. WIE FÜHRUNGSTEAMS EINE NACHHALTIGE LERNKULTUR SCHAFFEN
Die Frage lautet also:
«Wie können Führungsteams Fehler aktiv nutzen, um eine starke
lernende Organisation zu schaffen?»
Die folgenden Abschnitte zeigen konkrete Strategien, mit denen Führungsteams eine nachhaltige Fehler- und Lernkultur etablieren können. Zunächst geben wir einen Überblick über zentrale Lernansätze und -konzepte, bevor wir diese kurz erläutern und praxisnahe Handlungsempfehlungen für Führungsteams vorstellen.
Die lernende Organisation nach Peter Senge basiert auf fünf Kerndisziplinen, die Unternehmen dabei unterstützen, kontinuierlich zu lernen und sich anzupassen. Diese Disziplinen umfassen persönliche Entwicklung «mastery», mentale Modelle, geteilte Vision, Lernen im Team und organisationales-systemisches Denken. Eine lernende Organisation betrachtet Fehler als wertvolle Informationsquelle und nutzt sie zur kontinuierlichen Verbesserung.
«Shared Leadership» beschreibt eine Führungspraxis, bei der Verantwortung auf mehrere Teammitglieder verteilt wird. Pearce und Conger haben gezeigt, dass Shared Leadership die Fehlerkultur verbessert, die Anpassungsfähigkeit erhöht und die Entscheidungsqualität steigert. Durch die Einbeziehung verschiedener Perspektiven entstehen robustere Lösungen, und die Mitarbeitermotivation wird gestärkt.
«Growth Mindset» ist ein Konzept von Carol Dweck, das die Bedeutung von kontinuierlichem Lernen und Anstrengung betont. Ein Growth Mindset verändert die Wahrnehmung von Fehlern grundlegend und betrachtet sie als notwendige Schritte im Lernprozess. Führungsteams, die ein Growth Mindset fördern, schaffen eine Kultur, in der Fehler als Entwicklungsmöglichkeiten gesehen werden.
«Double-Loop Learning» geht über die blosse Fehlerkorrektur hinaus und betrachtet Fehler als Hinweise auf tiefere systemische Probleme. Chris Argyris unterscheidet zwischen Single-Loop Learning, bei dem Fehler behoben werden, ohne die zugrunde liegenden Annahmen zu hinterfragen, und Double-Loop Learning, das eine tiefere Reflexion und nachhaltige Verbesserungen ermöglicht.
Psychologische Sicherheit ist der Schlüssel zur Schaffung eines Arbeitsumfelds, in dem Mitarbeitende offen über Fehler sprechen können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben. Amy Edmondson und Timothy R. Clark haben gezeigt, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit produktiver und innovativer sind, da sie Fehler als Lernchancen nutzen.
Fehler als Innovationsquelle zu betrachten, ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Michael Frese hat in seinen Studien nachgewiesen, dass Unternehmen, die Fehler offen thematisieren und als Ressource für Innovationen nutzen, langfristig erfolgreicher sind. Ein systematisches Fehlermanagement kann nicht nur Kosten senken, sondern auch die Innovationskraft erheblich steigern.
Fehleranalyse und Prozessoptimierung sind essenziell, um strukturelle Schwächen und ineffiziente Abläufe zu identifizieren. Das Swiss Cheese Model von James Reason verdeutlicht, dass Fehler oft durch eine Verkettung mehrerer Faktoren entstehen. Eine systematische Fehleranalyse hilft dabei, präventive Massnahmen zu ergreifen und Prozesse kontinuierlich zu verbessern.
Kapitel 2: DIE LERNENDE ORGANISATION: STRATEGIEN FÜR FÜHRUNGSTEAMS
Kapitel 3: SHARED LEADERSHIP: FÜHRUNG GEMEINSAM GESTALTEN
Kapitel 4: GROWTH MINDSET: FEHLER ALS ENTWICKLUNGSHEBEL NUTZEN
Kapitel 5: DOUBLE-LOOP LEARNING: FEHLER ALS TIEFERE LERNMÖGLICHKEIT NUTZEN
Kapitel 6: PSYCHOLOGISCHE SICHERHEIT: DER SCHLÜSSEL ZUR FEHLERKULTUR RESP. LERNKULTUR
Kapitel 7: FEHLER ALS INNOVATIONSQUELLE
Kapitel 8: FEHLERANALYSE UND PROZESSOPTIMIERUNG
Kapitel 9: DIE ZUSAMMENFASSUNG: FEHLER ALS SPRUNGBRETT